Stromrebellen

26. März 2011

Ganz Deutschland wird von vier Stromkonzernen beherrscht. Ganz Deutschland? Nein. In einem kleinen Ort im Schwarzwald haben Bürger ihre Energieversorgung selbst in die Hand genommen. Was nach dem Unglück von Tschernobyl als lokale Initiative begann, ist heute eine profitable Bürgergenossenschaft, die 100.000 Haushalte in ganz Deutschland mit Ökostrom beliefert. Die Manager: Ursula und Michael Sladek, ein älteres Ehepaar. Da wurden wir neugierig.

Ursula und Michael Sladek sind Initiatoren, Anführer und Anstifter eines bislang einzigartigen Bürgerprojekts. Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl war für den Mediziner und seine Frau ein Schock. Doch aus der anfänglichen Ohnmacht wurden Wut und eine geradezu renitente Beharrlichkeit: Das Ehepaar gründete erst eine Bürgerinitiative, die Stromsparwettbewerbe durchführte, und dann ein Unternehmen, das ein Wasserkraftwerk im Schwarzwald wieder in Betrieb nahm und in Kraftwärmekoppelungsanlagen investierte.
Damit nicht genug. Um den Atomausstieg im Kleinen zu beginnen,  wagten die Rebellen von Schönau den Aufstand gegen den örtlichen Netzbetreiber und gewannen. Nach neun Jahren und zwei Bürgerentscheiden konnte die Bürgergenossenschaft Elektrizitätswerke Schönau (EWS) das örtliche Stromnetz zurückkaufen und in eigener Regie betreiben. Seitdem fließt nur noch ökologischer „Rebellenstrom“ durch das Netz. Ihren politischen Anspruch haben die Schwarzwälder dabei nicht aufgegeben: Aktuell machen Sie mit der Kampagne „100 gute Gründe gegen Atomkraft“ für einen Ausstieg mobil.

Das Beispiel der Schönauer könnte Schule machen: Bis 2015 laufen in ganz Deutschland 1.000 Konzessionsverträge mit Energieversorgern aus. Das sind 1.000 Chancen für Bürger, die Zukunft ihrer Kommune mitzugestalten.

Enter sprach mit Dr. Michael Sladek, Gründer und Geschäftsführer der Elektrizitätswerke Schönau.

Sie waren Mitte der 80er von Tschernobyl geschockt – und haben daraus das erste und bis heute bekannteste Bürger-Energieunternehmen Deutschlands gestartet. Wie kam die Lawine ins Rollen?
Als die Bilder damals um die Welt gingen, haben meine Frau und ich – genau wie viele andere auch – uns erst einmal ohnmächtig gefühlt. Da war eine Technologie in die Welt gesetzt worden, die nicht beherrschbar war. Damals waren zuerst Ohnmacht und Angst die beherrschenden Gefühle, aber Angst ist kein guter Ratgeber. Sie kann aber Auslöser für etwas sein. Man muss kluge Antworten auf die Angst finden. Unsere Antwort war, dass wir unabhängig von den großen Stromanbietern werden mussten.

Ist Fukushima für Sie ein persönliches Déjà-vu?
Wenn ich die Bilder aus Japan sehe, wie hilflos dieses hochtechnisierte Land mit dem Unfall umgeht, ist das ein weiterer Beweis dafür, dass die Atomkraft nicht kontrollierbar ist – weder damals in Tschernobyl noch heute in Japan. Ich hatte gehofft, solche Bilder nicht noch einmal sehen zu müssen.

Braucht die Politik die große Katstrophe, um umzudenken?
Tschernobyl war mein persönliches Damaskus-Erlebnis. Es hat in mir etwas ausgelöst und mich zum Umdenken gebracht, das war ein Prozess. Den Schwenk, den jetzt die Regierung vollzieht, halte ich für nicht sehr glaubwürdig.  Offenbar wird sie von den kommenden Wahlen, von einem möglichen Machtschwund  getrieben. Mein Wunsch: dass nicht jeder Schritt in Richtung Ausstieg mit einem GAU teuer erkauft werden muss.

Und die Bürger – brauchen die nicht auch den großen Knall?
Momentan gibt es deutlich mehr Interesse an unserem ökologischen Strom. Die EWS war ja ursprünglich eine Antwort auf die Ohnmacht nach Tschernobyl, und diese Antwort ist in diesen Tagen vermehrt gefragt. Was uns wichtig ist: Wer zu uns kommt, ist nie nur ein Kunde; er ist Mitstreiter und Mitgestalter einer anderen Zukunft. Und dieses Gestalten geht darüber hinaus,  Solaranlagen zu installieren. Es geht hier ja um ganz neue Energiestrukturen. Welche Energien werden eingespeist? Wie werden die Gewinne verwendet? Was wird gefördert? Unsere Genossenschaft ist demokratisch organisiert, hier hat der Bürger, der Anteile für 500 Euro gekauft hat, ebenso viel Stimmrecht wie der, der 100.000 Euro investiert hat.

Also Demokratisierung durch Rebellenstrom?
Mit einer gemeinschaftlichen Stromorganisation ist tatsächlich viel mehr verbunden, als nur bezahlbarer, nachhaltiger Strom. Noch diesen Monat wird etwas völlig Neues starten, von dem die Öffentlichkeit noch nichts weiß: Eine Gemeinde, die ich noch nicht nennen darf, wird mit der EWS als Energiepartner eine völlig neue Energiestruktur errichten. Zum ersten Mal in Deutschland werden von einer Kommune auch die Bürger in diesen Prozess eingebunden. Sie werden direkt an den Stadtwerken beteiligt und bekommen ein Mitspracherecht. Die Beteiligung von Bürgern ist Verwaltungen und Stromkonzernen ja nach wie vor suspekt. Jetzt macht es eine Kommune anders und baut zusammen mit der EWS und seinen Bürgern ein Stromnetzwerk auf. Das ist ein absolutes Novum.

Als Bürgerinitiative gegen einen Stromriesen antreten und gewinnen. Wie gelingt so etwas?
Von Anfang an hat uns der hiesige Netzbetreiber, wo immer er konnte, Steine in den Weg gelegt. Offenbar hatte er Angst, dass ein Präzedenzfall entsteht, wenn Bürger ihr Netz zurückkaufen und selbst Strom produzieren. Der Netzbetreiber wollte sich dann eine frühzeitige Verlängerung seiner Konzession schlicht erkaufen, und der Gemeinderat hätte sogar mitgezogen. Nur mit einem Bürgerentscheid konnten wir das verhindern. Als sich dann die Mehrheiten im Gemeinderat änderten, schlug unsere Stunde, und unsere Bürgergenossenschaft bekam die Konzession. Man muss sich immer wieder daran erinnern, dass man der Arroganz der Macht etwas entgegensetzen kann. Uns wurden so viele Steine in den Weg gelegt, und wir sind mehr als ein Mal gegen eine Wand gelaufen. Daraus muss sich Wut entwickeln und Kampfgeist. Ich muss nicht die ganze Welt beglücken wollen, aber ich brauche eine klare Vision.

Was war am wichtigsten für den Sieg?
Eines muss man wissen: Es wird keine Energiewende geben, wenn die Menschen vor Ort nicht in den Wandel eingebunden werden und mitreden dürfen. In Schönau haben nicht zuletzt die beiden Bürgerentscheide sichergestellt, dass die Bevölkerung hinter unseren Plänen steht. Auch wenn die Politik nicht in der Lage ist, vernünftige Rahmenbedingungen zu schaffen – am Ende kann niemand entschlossene Bürger aufhalten. Auch wenn das viele schon vergessen haben: Die Macht haben letztlich wir Bürger.

Viele Städte und Gemeinden sind dabei, ihre kommunalen Versorgungsunternehmen und Netze zurückzukaufen. Geht neben der Kernenergie auch die Ära der Stromriesen zu Ende?
Das große Stichwort unserer Arbeit ist ja „Dezentralisierung“. Das ist unser Gegenkonzept zu den vier Energieriesen in Deutschland, die nach wie vor 80 % der Stromnetze besitzen. Regenerative Energie kann nur dezentral organisiert sein. Wenn man beispielsweise Sonnenwirtschaft betreiben will, muss man in der Fläche ernten. Japan zeigt, dass zentralistische Kraftwerke, die keine Fehler zulassen und einen Absolutheitsanspruch haben, hochgefährlich sind. Wir brauchen kleine, fehlerfreundliche, dezentrale Einheiten.

Heute ist Bürgerengagement und Energieversorgung keine unbekannte Kombination mehr: Es gibt Bio-Energiedörfer, Bürger-Solardächer und vieles mehr. Sehen Sie sich als Pioniere dieses Trends?
Wir veranstalten regelmäßig die Schönauer Stromseminare, zu denen Menschen aus ganz Deutschland kommen. Hier findet Kommunikation statt, hier werden Ideen weitergetragen und man motiviert sich gegenseitig. Wir bekommen regelmäßig Rückmeldungen, dass sich auch andere Gemeinden Schritt für Schritt von den großen Energieunternehmen unabhängig machen, ihren eigenen Strom produzieren oder Netze zurückkaufen. Vorbilder sind wir vielleicht nicht, aber Katalysatoren.

Nun arbeiten Bürger aber nicht immer Hand in Hand – gerade wenn es um Strominfrastruktur geht. Dämpft das Ihren Optimismus?
Natürlich gibt es Proteste gegen Stromleitungen. Was man dabei wissen muss: Eine dezentrale Energiestruktur benötigt sehr viel weniger Leitungen. Die Leute, die jetzt Widerstand gegen Stromleitungen leisten, müssen überzeugt werden, dass wir uns in einer umfassenden Strukturveränderung befinden, die von möglichst vielen Menschen mitgetragen werden muss. Ich bin sicher, dass das verstanden wird.

Was werden die kommenden Jahre bringen?
Es gab eine Welt vor Japan und es gibt eine nach Japan – genau wie nach Tschernobyl. Derzeit entstehen an vielen Orten kleine Schönaus. Dort haben Menschen unsere Ideen aufgenommen und weiterentwickelt. So gelingt nicht nur der Ausstieg – unsere Bürgerdemokratie bekommt eine neue Qualität.

www.ews-schoenau.de

 

Schönauer-Chroniken:
1986 Gründung der Bürgerinitiative. 1991 Erster Bürgerentscheid zur Übernahme des Stromnetzes in Schönau.
1994 Gründung der Elektrizitätswerke Schönau.
1996 Zweiter Bürgerentscheid zur Übernahme des Stromnetzes in Schönau.
1997 Übernahme des örtlichen Netzbetriebs.
1999 Rebellenstrom gibt es bundesweit.
2007 Die EWS werden mit dem Deutschen Gründerpreis geehrt.
2009 bundesweite Anti-Atom-Kampagne „100 gute Gründe gegen Atomkraft“.
2010 Vertragsabschluss mit dem Hunderttausendsten Stromkunden.

 

Text und Interview: Henrik Flor
Foto: Deutscher Gründerpreis, Stefan Pielow

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