Zehn goldene Regeln für Bürgerstifter

10. Mai 2011

Wer stiften will, braucht keine Reichtümer. Bei Bürgerstiftungen geht es um andere Werte. Bürgerinnen und Bürger sammeln gemeinsam Kapital, um eine stabile und dauerhafte Basis für ihr lokales Engagement zu schaffen. Bürgerstiftungen boomen. 1.400 sind es weltweit, zwischen 200 und 300 in Deutschland. Zwei Organisationen kümmern sich um die Vernetzung und Beratung von Bürgerstiftungen:  Die Initiative Bürgerstiftungen beim Bundesverband Deutscher Stiftungen und der Verein aktive Bürgerschaft. Auch wer etwas Großes beginnen will, muss klein anfangen. Eine Stiftung zu gründen ist ein Projekt, bei dem viel schief gehen kann. wir haben zehn erfolgreiche Stifter gefragt, welche guten Tipps sie geben können, um Fehler zu vermeiden. Hier die  zehn wichtigsten Ratschläge:

 

I. Die richtige Form finden

„Die Entscheidung, eine Stiftung zu gründen, hat sich bei uns fast organisch entwickelt. Am Anfang stand das Netzwerk „Tolerantes Eberswalde“, eine Initiative gegen Rechtsextremismus. Da ging es vor allem um Aktionswochen oder Demos. Diese lose Struktur trug dann nicht mehr, wir wollten etwas Neues aufbauen und so für eine demokratische Gesellschaft vor Ort arbeiten. Das passierte dann in Form einer Lokale-Agenda-21-Gruppe, die als Verein organisiert war. Die Entscheidung, eine Stiftung zu gründen, hatte viel mit einer Dissertation zu tun, die in der Region Eberswalde ein großes bürgerschaftliches Potenzial nachgewiesen hat. Wir wollten dieses erschließen und uns thematisch breiter aufstellen. Dann kam eins zum anderen: Einige Mitglieder des Vereins waren bereit, Gründungsstifter zu werden, und die Amadeu-Antonio-Stiftung nahm uns unter ihre Fittiche und hat uns intensiv beraten. Durch die kontinuierliche Arbeit in der Stiftung waren wir dann zum ersten Mal in der Lage, aktiv Themen anzugehen, die wichtig für uns sind. Dass der damalige Oberbürgermeister zuerst die Befürchtung hatte, unsere Stiftung sei angetreten, um ihn zu stürzen, ist eine andere Geschichte…“

Helga Thomé, Vorstand Bürgerstiftung Barnim-Uckermark

www.barnim-uckermark-stiftung.de

II. Aktionsradius definieren

„Bei der Gründung unserer Stiftung hatten wir zuerst nur die Stadt Landshut im Blick – eine Stadt mit 62.000 Einwohnern. Wir waren uns damals sicher, dass hier ausreichend Potenzial an Engagierten, Spendern und Stiftern vorhanden sein würde. Dies hat sich auch bestätigt. Wir haben dann aber in der konkreten Projektarbeit gemerkt, dass es keinen Sinn macht, zwischen Stadt und Umland zu unterscheiden. Wir konnten da nicht einfach Menschen von Förderungen ausschließen, nur weil sie jenseits der Stadtgrenze wohnten. Gleichzeitig haben wir gemerkt, dass aus dem Umland auch viel Unterstützung kommt. Das Projekt „Bürgerhaus“ etwa wird zu einem Großteil von Familienbetrieben aus dem Landkreis getragen. Deshalb haben wir unseren Aktionsradius inzwischen ganz deutlich erweitert und verstehen uns jetzt als Bürgerstiftung der Region Landshut – damit decken wir einen Einzugsbereich mit 210.000 Einwohnern ab. Anderen Bürgerstiftungen, die wir in der Aufbauphase unterstützen, raten wir deshalb ganz klar, nicht zu bescheiden mit dem Zuschnitt ihrer Stiftung zu sein.“

Anke Humpeneder-Graf, Vorstandsvorsitzende Bürgerstiftung Landshut

www.buergerstiftung-landshut.de

III. Unabhängig bleiben

„Das vielleicht Wichtigste bei der Gründung einer Stiftung ist es nach unserer Erfahrung, unabhängig von Politik und Verwaltung zu bleiben. Unser erster Versuch, eine Stiftung anzuschieben, ist daran gescheitert, dass wir diese Unabhängigkeit nicht gewahrt hatten. Damals hatten sich einige Bürgerinnen und Bürger unter Federführung des Landratssamts zum Ziel gesetzt, eine Bürgerstiftung zu gründen. Was, wie wir heute wissen, schon im Ansatz nicht funktionieren konnte. Eine Bürgerstiftung muss selbstbestimmt sein, die stiftenden Bürger müssen die Entscheidungen treffen können – das kann keine politische Institution übernehmen. Sie kann anschieben, sollte sich danach aber zurückziehen. Beim zweiten Anlauf haben wir strikt auf politische Neutralität geachtet und darauf, dass keine Interessen Dritter zum Zuge kommen. Interessanterweise wurde dadurch unser Stiftungsprojekt auch für die freie Wirtschaft sehr viel attraktiver.

Als jemand, die andere Stiftungen in Bayern berät, merke ich immer wieder: Wann immer sich offizielle Stellen einmischen, kommt es zu Problemen. Bürgerinteressen und Verwaltungsinteressen sind nun einmal nicht immer deckungsgleich. Es gibt immer wieder Städte oder Gemeinden, die sagen: ‚Unsere Kassen sind leer, also gründen wir eine Stiftung!‘ Der Ansatz könnte nicht falscher sein. In Neumarkt verstehen wir uns übrigens sehr gut mit Landrat und Oberbürgermeister. Die wissen, was sie an unserer Arbeit haben und unterstützen daher gerne unsere Stiftungsaktivitäten.“

Vera Finn, Vorstand Bürgerstiftung Region Neumarkt

www.buergerstiftung-region-neumarkt.de

IV. Im Team spielen

„Wir waren in der Startphase zu viert. Im Kernteam haben wir das Gros der Vorarbeiten zur Stiftungsgründung geleistet. Wir wollten erst mit dem Gründungsaufruf an die Öffentlichkeit gehen, wenn wir schon genügend Leute und Geld im Rücken haben. Ein Jahr haben wir uns dafür Zeit gegeben. Diese klare Frist zu setzen, war für die Motivation der Gruppe wichtig. Das Kernteam hat die Satzung vorbereitet und an der Ausrichtung gearbeitet. Zur Unterstützung haben wir dann neun weitere Mitstreiter dazugewonnen, die aus verschiedenen Feldern kamen: einen Grafiker, Fotografen, Steuerberater, Juristen, jemanden aus der Kirche. Das waren unsere Multiplikatoren, die in der Stadt bekannt waren und die früh ihr Gesicht für die Stiftung gezeigt haben. Mit ihrem Fachwissen haben sie uns ganz konkret in der Gründungsphase unterstützt. Das Kernteam hat auch insofern eine wichtige Rolle gespielt, als wir selbst Gründungsstifter waren. Alle Mitglieder des Kernteams sind dann auch in den Vorstand oder ins Kuratorium gegangen. Inzwischen gab es schon einige personelle Wechsel. Uns Gründern ist es aber gut gelungen, das Staffelholz so zu übergeben, dass für Kontinuität gesorgt ist.“

Dorothee Fischer, Vorstand Bürgerstiftung Halle und Leiterin der Villa Jühling

www.buergerstiftung-halle.de

V. Clever Geld sammeln

„Für die Vorbereitung der Stiftungsgründung haben meine Mitstreiter und ich zunächst einen Verein gegründet und auch schon mit der konkreten Projektarbeit begonnen. Der nächste Schritt, um Gründungsstifter zu gewinnen, waren dann öffentliche Informationsveranstaltungen. Dort haben wir erst einmal erklärt, was eine Bürgerstiftung überhaupt ist – vor zehn Jahren war das noch etwas Exotisches, ein unkonventioneller Weg. Nach jeder dieser Veranstaltungen ist dann ein Besucher auf mich zugekommen und wollte als Stifter mitmachen. Außerdem haben wir ganz klassisch Pressearbeit gemacht. Man merkte schon damals, dass das Interesse an dem Thema groß war. Auf diese Weise hat es nur ein paar Monate gedauert, bis wir neun Gründungsstifter zusammen hatten und ein Startkapital von 55.000 Euro. Meine Empfehlung nach zehn Jahren Arbeit in der Bürgerstiftung: Man sollte die Gründung nicht zu hektisch angehen und zusehen, dass das Gründungskapital möglichst hoch ist. Diese Anfangsfaszination nimmt viel mehr Leute mit als ein nachträgliches Zustiften – das ist einfach nicht besonders sexy. Hat das Stiftungskapital zu Beginn schon eine relevante Größe, wird man anders wahrgenommen und auch mit dem Einwerben von Zustiftungen wird es dann einfacher. Der wichtigste Tipp aber: mit anderen Bürgerstiftungen sprechen und von deren Erfahrungen lernen.

Dr. Michael Eckstein, Vorstand Bürgerstiftung Region Ahrensburg

www.buergerstiftung-region-ahrensburg.de

 

VI. Veranstaltungen professionell durchführen

„Unsere Auftaktveranstaltung war ganz bewusst groß angelegt. Ziel war es, mit dem ‚Kick-off‘ Spender und Stifter zu erreichen und uns der Öffentlichkeit vorzustellen. Wir konnten Prof. Dr. Christian Pfeiffer für einen Vortrag gewinnen, und die Sparkasse stellte die Räume zu Verfügung. Der Saal hatte kaum gereicht, es wurde engagiert diskutiert, und am Ende konnten wir an diesem Abend weiteres Gründungskapital für die Stiftung einwerben. Wir standen dabei vor der Herausforderung, dass wir zwar in einer Stadt mit vielen vermögenden Bürgern arbeiten, diese aber sehr abgeschottet leben, zum Teil eigene Stiftungen gegründet haben. Die Gründungsveranstaltung war der erste große Schritt, uns ein Profil zu geben und in diesem schwierigen Umfeld zu positionieren. Von Anfang an haben wir regelmäßig einen Neujahrsempfang gegeben und eine sehr erfolgreiche Gesprächsreihe zu aktuellen regionalen Themen initiiert. Für den Neujahrsempfang konnten wir ein großes Hotel gewinnen, das uns kostenlos Räume zur Verfügung stellt. Für das Catering können wir regelmäßig Baden-Badener Unternehmer als Sponsoren gewinnen. Zum Empfang laden wir persönlich ein, potenzielle Spender werden eng begleitet. Förderprojekte wie Jugendtheater oder Musikgruppen gestalten das Programm mit und können sich in einem schönen Rahmen präsentieren. In Sachen Spenderbindung und Öffentlichkeitsarbeit ist das unser wichtigstes Veranstaltungsformat.“

Susanne Pfleiderer, Vorstand Bürgerstiftung Baden-Baden

www.buergerstiftung-baden-baden.de

VII. Für die Idee begeistern

„Ziel unseres Marktplatzes ist es, gemeinnützige Organisationen mit Unternehmen zusammenzubringen, um, ganz ohne Geld, Ideen, Know-how oder Leistungen auszutauschen. Es geht darum, Kontakte zu Netzwerken zu knüpfen und ganz konkrete Kooperationen einzugehen. Es sind kleine Vereinbarungen, aus denen aber oft eine langfristige Zusammenarbeit entsteht. Beim letzten Marktplatz im März kamen 189 Vereinbarungen zustande – das war Rekord. Das Sozialkaufhaus hat jetzt neues Material für die Schaufensterdeko und das Seniorenheim bekommt vom Garten-Zentrum eine neue Grünfläche. Im Grunde ist der Marktplatz eine große Kontaktbörse – das Tauschgeschäft ist der Aufhänger. Gerade wir als Veranstalter wissen inzwischen ganz genau, wen wir ansprechen können, wenn wir etwas Bestimmtes brauchen. Wir haben über den Marktplatz Zugänge bekommen, die uns sonst nicht so leicht offengestanden hätten. Die Bürgerstiftung Weimar hat auf diesem Weg sogar Zustifter gewonnen. Die besondere Herausforderung bei der Organisation einer solchen Veranstaltung ist es, Unternehmen für die Idee zu gewinnen. Das funktioniert nur über persönliche Ansprache der Unternehmen durch die Lenkungsgruppe, die möglichst mit gut vernetzen Unternehmerpersönlichkeiten besetzt werden sollte.

Stefanie Lachmann arbeitet für die Ehrennamtsagentur, einer Einrichtung der Bürgerstiftung Weimar.

www.buergerstiftung-weimar.de

VIII. Projekte effektiv managen

„Was ist wichtiger in der Anfangsphase: mit viel Kapital starten oder viel Projektaktivitäten? Wir haben uns ganz klar dafür entschieden, erst einmal auf die Projekte zu setzen und dann aus dieser Arbeit heraus unsere Bekanntheit zu steigern, ein Profil zu bilden. Das war eine strategische Entscheidung. Will man sich von vornherein Spielraum über Kapitalerlöse verschaffen, sprechen wir von Größenordnungen im Bereich von Millionen von Euro.

Uns war am Anfang zudem der partizipative Aspekt wichtiger als die Kapitalausstattung. Gerade in einer Stadt wie Köln, in der die Leute sich sehr stark mit ihrem Viertel identifizieren. Da ist es lebenswichtig, Leute aus allen Teilen der Stadt mit im Boot zu haben. Mit 50 Stiftern sind wir sehr breit aufgestellt gestartet. Derzeit versuchen wir, parallel zur Projektarbeit Treuhandstiftungen einzuwerben. Da wir nur mit ehrenamtlichen Mitgliedern arbeiten, ist das natürlich nicht ganz einfach. Meine Empfehlung: Jede Stiftung sollte schon am Anfang ein klares Profil entwickeln. Hat eine Stiftung wenig Kapital, kann sie mit guter Vernetzung sehr viel ausgleichen.“

Michael Aubermann, Vorstand Bürgerstiftung Köln

www.buergerstiftung-koeln.de

IX. Mitstifter finden

„Die Bürgerstiftung Kassel geht einen vielleicht etwas ungewöhnlichen, aber höchst erfolgreichen Weg. Sie ist vergleichbar mit einer Holding, unter der sich andere Stiftungen versammeln. Die einzelnen Stiftungen schließen Vereinbarungen mit dem Vorstand der Bürgerstiftung ab, mit der alles geregelt wird: vom Namen über den Zweck bis hin zur Verwendung der Erträge. Wir nehmen den Stiftern den Verwaltungsaufwand ab, ebenso die Bilanzierung und sogar die Pressearbeit.

Mit diesem Modell haben wir inzwischen 25 neue Stifter gewonnen, von denen nur einer weniger als 50.000 Euro eingebracht hat. Dass wir so viele neue Stifter gefunden haben, liegt sicher auch an der Reputation der Sparkasse, die 1999 die Bürgerstiftung gegründet hat.

Zu unserem Programm gehören regelmäßig  Veranstaltungen, zu denen wir Multiplikatoren wie Anwälte und Steuerberater einladen. Vor allem aber versuchen wir, das Stiften so einfach wie möglich zu machen.

Mein Tipp für andere Bürgerstiftungen: Geben Sie Zustiftern die Möglichkeit, selbst zu bestimmen, was mit ihrem Geld passiert. Stifter entscheiden sich emotional und wünschen besonders anfangs eine enge persönliche Beratung und Unterstützung. Gerade Menschen, die etwas vererben wollen, sorgen sich um ganz praktische Dinge wie die Haushaltsauflösung oder die Bestattung. Hier können Bürgerstiftungen mit ‚Rundum-Paketen‘ punkten. Greenpeace & Co machen es vor.“

Alexander Schmidt, Geschäftsführer Bürgerstiftung für die Stadt Kassel und den Landkreis Kassel

www.buergerstiftung-kassel.de

X. Den großen Fisch fangen

„Zentral für die Außenwirkung ist es, gute Arbeit in den Projekten zu leisten. Öffentlichkeitsarbeit muss dies nach außen kommunizieren. Das ist die Basis, um das Vertrauen zu gewinnen, das Spender und Stifter brauchen. Bei uns wissen die Leute, dass ihr Geld gut angelegt ist, und wir bemühen uns, individuellen Wünschen nachzukommen. Unsere hauptamtliche Fundraiserin ist vor allem mit dem Thema Spendergewinnung und -bindung beschäftigt, potenzielle Großzustifter werden vielfach direkt vom Vorstand betreut. Wir besprechen ganz individuell, was Interessenten mit ihrem Geld bewegen können. Zwei Mal im Jahr veranstalten wir einen „Abend der BürgerStiftung Hamburg“, zu dem wir potenzielle große Zustifter einladen und mit ihnen ins Gespräch kommen. Außerdem pflegen wir vielfache Kontakte zu Notaren, Steuerberatern und Banken, die zu vielen potenziellen Stiftern Zugang haben und auf uns verweisen können. Ein weiterer wichtiger Punkt: In unserem Stiftungsrat sitzen viele bekannte Hamburger, die über interessante Kontakte verfügen. Zudem garantieren wir Großspendern, die dies wünschen, absolute Vertraulichkeit, wie zum Beispiel bei der Großstiftung im vergangenen Jahr.“

Reimar Tietjen, Vorstand BürgerStiftung Hamburg

www.buergerstiftung-hamburg.de

 

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