Bitte auswechseln

8. März 2012

Statt Promis gehören engagierte Bürger in die Bundesversammlung

Leopold Herz weiß, um was es geht. „I freu mi auf Otto Rehhagel“, sagt der Landwirt aus dem 2.900-Einwohner-Ort Wertach im Allgäu. Herz sitzt für die Freien Wähler im Bayerischen Landtag und ist als Mitglied der 15. Bundesversammlung nominiert. Er soll Joachim Gauck zum Bundespräsidenten wählen, gemeinsam mit 1.239 anderen Wahlleuten. Promis à la Rehhagel sind wieder reichlich dabei.

Das freut Berlin-Touristen wie Bauer Herz. Vor allem aber deutet es darauf hin, dass die politische Klasse die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat… mal wieder nicht. Denn engagierte Bürger sucht man in der Namensliste fast vergeblich.

Am 18. März gilt es den Nachfolger für einen Mann zu wählen, der als Gernegroß mit ausgeprägtem Hang zur High-Society im kollektiven Gedächtnis bleiben wird. Wer eignet sich als Wähler besser? Showgrößen wie Senta Berger und Frank Elstner und Medienmultis wie Hubert Burda und Friede Springer – oder freiwillig engagierte Menschen: Ehrenamtliche aus Vereinen und Initiativen, kreative Sozialunternehmer, zupackende Helfer aus Hospizen, Tafeln und Pflegeheimen?

Die Chance ist vertan. Die Wahl eines Bürgerrechtlers zum Staatsoberhaupt findet ohne Normalbürger statt. Neu ist das nicht; aber in diesem Jahr wirkt es ärgerlicher als je zuvor.

64 Prozent der Deutschen waren laut einer ARD-Umfrage kurz vor dem Wulff-Rücktritt für eine künftige Direktwahl des Bundespräsidenten. Es gibt gewichtige Argumente dagegen. Aber die Parteien hätten ein Zeichen setzen können, die Bundesversammlung zu einer Bürgerversammlung machen, den Club öffnen. Das wäre ein kluger Schritt gewesen, geradezu ein Gebot der Stunde.

Stattdessen begegnet sich unter der Reichstagskuppel wieder eine krude Mischung. Die Riege der Alt-Ministerpräsidenten erscheint zu einer Art Klassentreffen: Erwin Teufel, Edmund Stoiber, Heide Simonis, Dieter Althaus, Roland Koch und viele mehr. Sportler werden immer gerne genommen, Springreiterin Janne Friederike Meyer oder Biathlon-Bundestrainer Frank Ullrich zum Beispiel. Alice Schwarzer reist auf dem Ticket der NRW-Christdemokraten an. Vielleicht bildet sie ja eine Fahrgemeinschaft mit Ingo Appelt, dem mäßig talentierten Fernsehkomiker, den die SPD entsendet.

Das Verbands- und Funktionärswesen ist praktisch komplett anwesend, von Sportbund-Präsident Thomas Bach bis zum obersten Sprecher der deutschen Industriellen, Hans-Peter Keitel. Auch das ist symptomatisch. An Bachs Seite hätte man sich den einen oder anderen Sportvereinsvorsitzenden vorstellen können, und statt Keitel vielleicht einige der von ihm vertretenden Mittelständler.

Freilich: Es gibt erfreuliche Ausnahmen. Inge Sladek, die Anführerin der Strom-Rebellen aus Schönau, oder Mevlüde Genc, die 1993 beim Brandanschlag in Solingen zwei Töchter und zwei Enkelkinder verlor und seither für Integration und Versöhnung kämpft. Leute dieses Schlages sind die richtige Ergänzung zu den gewählten Volksvertretern. Und König Otto? Bitte auswechseln.

Die Bundesversammlung, deren einzige Aufgabe die Wahl des Bundespräsidenten ist, setzt sich aus allen Mitgliedern des Bundestages und einer gleichen Zahl Abgesandter der 16 Bundesländer zusammen. Letztere werden von den jeweiligen Landesparlamenten bestimmt. Überwiegend schöpfen die Landtage dabei aus den eigenen Reihen und schicken Landesminister, Abgeordnete, Oberbürgermeister und verdiente Altpolitiker nach Berlin. Die Landesparlamente nominieren aber auch Persönlichkeiten außerhalb der politischen Szene.

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5 Kommentare

  1. Thomas Hertfelder
    Thomas Hertfelder
    9. März 2012 zu 09:19
    | Antworten

    Ich finde Ihre Position und Ihren Vorschlag sehr einleuchtend: Dies wäre nach der unsäglichen Wulff-Affäre ein Zeichen. Besonders gefällt mir, dass Sie nicht kurzerhand auf den Zug derer aufspringen, die vorschnell und wenig durchdacht eine Direktwahl des Bundespräsidenten fordern. Der Haken an Ihrem Vorschlag, engagierte Otto-Normalverbraucher in die Bundesversammlung zu entsenden besteht darin, dass eben jene Otto Normalverbraucher vermutlich lieber die Prominenz als ihresgleichen sehen wollen, wenn sie den Wahlvorgang im Fernsehen verfolgen.

    Dr. Thomas Hertfelder, Stuttgart

  2. Susanne
    Susanne
    9. März 2012 zu 12:40
    | Antworten

    Engagierte in die Bundesversammlung zu schicken wäre zumindest eine Form der Anerkennung. Und eine neue Anerkennungskultur brauchen wir hierzulande. Ehrenamt muss auch sichtbar gemacht werden.

  3. Bernd Gruber
    Bernd Gruber
    9. März 2012 zu 13:53
    | Antworten

    @Susanne: Man könnte es auch Symbolpolitik nennen. Mir persönlich wäre es lieber, wenn es für die tagtäglich Engagierten mehr Unterstützung/Offenheit in Verwaltung und Politik gäbe. Da wäre der Mehrwert definitiv größer.

  4. Gérard
    Gérard
    11. März 2012 zu 23:06
    | Antworten

    Stimmt, Bernd. Aber Standing etabliert sich nun mal über Entscheidungskompetenz. Oder platt gesagt: Nur wer etwas entscheiden darf, gilt etwas.

  5. Karsten
    Karsten
    13. März 2012 zu 16:01
    | Antworten

    Nun, eigentlich müßte die Bundesversammlung reformiert werden. Sofern ich es richtig mitbekommen habe, wählt der Entsandte den vom Entsendenden vorgegebenen Kandidaten. Ich halte es nicht für sinnvoll Engagierte zu Marionetten zu machen. Solange keine freie Wahl besteht müssen wir wohl damit Leben was im Vorfeld der Versammlung bereits fest beschlossen wurde. Wenigstens die Promis haben vielleicht noch etwas davon in der Versammlung mitzuschauspielern.

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